09.05.2020
Da ich heute auf eine Studie angesprochen wurde und ich davon überzeugt bin, dass viele andere Menschen sich ebenfalls für diese interessieren werden, hier mein Kommentar zu dieser neuen Studie des italienischen Statistikamtes Istat mit dem übersetzten Titel:
AUSWIRKUNGEN DER COVID-19-EPIDEMIE AUF DIE GESAMTMORTALITÄT DER BEVÖLKERUNG IM ERSTEN QUARTAL 2020.

Auf diese Studie beziehen sich unter anderem folgende Medien mit ihren jeweiligen Artikeln:
Fokus: „Pandemie-Hotspot Italien: Studie zeigt Übersterblichkeit von bis zu 578 Prozent“
Merkur: „Corona in Italien: Mehr als 30.000 Todesopfer - Neue Studie zeigt dramatische Übersterblichkeit“
n-tv: „Italien meldet wesentlich mehr Tote als in Vorjahren“

Zu dieser Studie müssen durchaus ein paar Anmerkungen gemacht werden, um zu vermeiden, dass doch zu einseitige Schlüsse gezogen werden.

Ich habe mir die Studie im italienischen Original genauer angeschaut. Die Studie versucht, das Ausmaß der an Covid 19 Verstorbenen anhand der Exzessmortalität genauer zu bestimmen, da die reinen Meldungen nicht unbedingt eine Aussage darüber zulassen, wie viele Menschen tatsächlich AN Covid verstorben sind.
Hierzu haben 6.866 Kommunen von insgesamt 7.904 alle Gesamttodeszahlen gemeldet (dies entspricht 87% aller Kommunen und repräsentiert 86% der Bevölkerung).

Wie zu erwarten war, ist eine erhöhte Sterblichkeit im Vergleich zum Mehrjahresdurchschnitt zu erkennen. Ich habe mir die Rohdaten des Istat angesehen. Aus diesen geht hervor, dass im ersten Quartal 17.492 Menschen in Italien mehr verstorben sind als im Durchschnitt des ersten Quartals der Jahre 2015 bis 2019.

Laut Studie wurden bis zum 31.03.2020 14.324 Covid-Tote gemeldet. Berücksichtigt wurden in der Studie davon 13.710 Covid-Tote ( das sind 96% der Gesamtzahl und entspricht der Meldesumme der Behörden, die für diese Studie ihre Zahlen gemeldet haben).
Anmerkung: Laut ECDC wurden bis zum 31.03.2020 11.591 Covid-Tote registriert.

Die Studie zeigt also die Dimension der Corona-Krise in Italien bis zum 31.03.2020. Sie zeigt im Detail auch, dass die dramatischsten Auswirkungen speziell im März waren, während die Sterbezahlen im Januar und Februar eher unterdurchschnittlich waren. Allein für den März weist die Studie eine Exzessmortalität von 24.700 Verstorbenen aus. Und über das gesamte Quartal die genannten 17.492 Menschen.

Allerdings hat die Studie zwangsläufig auch gewisse Schwächen, die ich im Folgenden aufzeigen möchte:

1. Die Betrachtung speziell eines Monats ist bedenklich. Auch bei anderen Virusinfektionen ist es nicht so, dass die Zeiten der schweren Verläufe immer pünktlich zum gleichen Zeitpunkt auftreten. Die Betrachtung einer kurzen Zeitspanne oder gar eines einzelnen Monats kann zu sehr starken Verzerrungen führen.

2. Eine Exzess-Mortalität von mehr als 17.000 Menschen im ersten Quartal ist ohne Frage dramatisch und zweifelsohne auf die Corona-Epidemie zurückzuführen. Und zweifelsohne dokumentiert sie eine besondere Herausforderung für das Land. Allerdings führt die isolierte Betrachtung dieser Zahl ohne einen geeigneten Kontext zu einer möglicherweise verzerrten Wahrnehmung.

3. Der Vergleich der aktuellen Ist-Zahlen mit mehrjährigen Durchschnittszahlen missachtet die Tatsache, dass es in den jeweiligen Jahren zu sehr großen Spannweiten in den Todeszahlen kommen kann (und auch gekommen ist), denen ein Durchschnittswert nicht Rechnung tragen kann.

Ohne geeigneten Kontext könnte man leicht den Eindruck bekommen, dass die aktuelle Corona-Krise in Italien eine nie dagewesene, einmalige Situation ist.
Das ist so aber nicht der Fall!

Ich werde das veranschaulichen:
In den Jahren von 2015 bis 2019 (neuere vollständige Ganzjahreszahlen liegen vom Istat noch nicht vor) war das Jahr 2016 das Jahr mit der geringsten Verstorbenen-Anzahl in Höhe von 166.965 Verstorbenen in Italien.

Allein im Jahr 2017 sind in Italien 33.800 Menschen MEHR verstorben als noch in 2016. Es kommt aber noch schlimmer: Allein im ersten Quartal waren es 25.080 Menschen mehr. Und, bezogen auf den kleinen Zeitraum eines Monats, kommt es noch gravierender: Allein im Monat Januar des Jahres 2017 sind 19.949 Menschen mehr verstorben als noch im Januar des Vorjahres.

So gesehen war das Jahr 2017 im Vergleich 2016 bisher sogar noch katastrophaler als das aktuelle Jahr. Und es stellt sich durchaus die Frage, warum das damals nicht aufgefallen ist, geschweige denn nicht zu so umfassenden Maßnahmen geführt hat wie im aktuellen Jahr.

Übrigens, wenn ich schon bei diesen Vergleichen bin: Sowohl im Jahr 2017 als auch im Jahr 2015 sind jeweils etwa 50.000 Menschen in Italien mehr verstorben als im Jahr 2014. (2014 ist noch gar nicht so lange her! Das sind sechs Jahre.)

Zweifelsohne befindet sich Italien in einer katastrophalen Situation. Und das ist ganz und gar nicht harmlos! Allerdings kann man daraus eben nicht zwangsläufig schließen, dass diese im letzten Jahrzehnt eine solche Einmaligkeit darstellt, wie es uns aktuell scheint. Natürlich ist es möglich, dass sich dies im Zeitablauf noch herausstellt, aber aktuell kann es leider noch keine Datenbasis geben, anhand derer eine solche abschließende Bewertung vorgenommen werden kann.

Bei aller Tragik sollte es uns aber dennoch wenigstens erleichtern, dass die ursprünglichen Annahmen in Italien zu Corona zum Glück überhaupt nicht eintreten werden.