Thorsten Wiethölter, 09.02.2021

 

Die Todesfallzahlen im Jahr 2020 entsprechen ziemlich genau der zu erwartenden Zahl

...Und würden die Corona-Toten herausgerechnet, ergäbe sich eine massive, kaum erklärbare Untersterblichkeit

 

In den letzten Tagen musste ich verschiedene Äußerungen, Berichte und Mutmaßungen zu den Todesfallzahlen im Jahr 2020 zur Kenntnis nehmen.

Folgende Äußerungen sind mir in dieser oder ähnlicher Form ganz besonders aufgefallen:

  • In 2020 seien etwa 50.000 Menschen mehr verstorben als im Durchschnitt der letzten Jahre.
  • Besonders hohe Sterblichkeit im Dezember (+ 29 %)
  • Die Todesfallzahlen seien in der zweiten Welle besonders in Sachsen auffällig.
  • Die Zunahme der der Todesfälle verlaufe parallel zu den Wellen der Pandemie

Diesen Äußerungen soll in diesem Beitrag näher auf den Grund gegangen werden.

 

Hatten wir nun im Jahr 2020 eine normale Sterblichkeit, eine Übersterblichkeit oder gar eine Untersterblichkeit?

Zunächst eine sehr schlechte Nachricht für uns alle: Die Letalität eines jeden einzelnen von uns beträgt ganz exakt 100% - wenn wir einmal religiöse oder philosophische Interpretationen außen vor lassen. Offen ist in aller Regel nur, zu welchem Zeitpunkt diese Letalität genau eintritt.

 

Die Lebenserwartung in Deutschland beträgt im Schnitt etwa 81 Jahre. Übrigens ist das für ein wohlständiges, entwickeltes Land wie unseres zwar ganz in Ordnung, aber mit Ruhm bekleckern wir uns auch nicht wirklich. Das ist hier aber nicht das Thema. Dieser Altersdurchschnitt bedeutet, dass Menschen, die sich dieser Alterszahl nähern, ein statistisch höheres Risiko haben, sich auch ihrem Lebensende zu nähern. Statistisch müssen wir uns nun folgendes vor Augen halten: Wenn jemand beispielsweise mit 79 Jahren sich bester Gesundheit erfreut und dies auch noch so bleibt, dann wird er im jeweiligen Jahr nicht in die Sterbestatistik der unter Achtzigjähren eingehen. Er wird aber irgendwann in die Sterbestatistik der Achtzigjähren und älter eingehen, und zwar mit Sicherheit! Denn: Die grundsätzliche Sterbewahrscheinlichkeit eines jeden einzelnen ändert sich nicht, sie beträgt letztlich leider immer ganz exakt 100%.

 

Wenn Schlagzeilen lauten, dass im Jahr 2020 etwa 50.000 Menschen mehr verstorben sind als im Durchschnitt der letzten Jahre, dann ist diese Aussage als solche nicht von vorneherein falsch. Sie ist als Aussage ohne Kontext aber Unsinn, weil sie einen vollkommen falschen Eindruck erzeugt.

 

Um Zahlen angemessen einordnen zu können, braucht es immer einen Kontext. Leider musste ich im letzten Jahr fassungslos zur Kenntnis nehmen, wie schwer es dem einen oder anderen Zeitgenossen – insbesondere im Bereich der Medien – fällt, diesen herzustellen. Eine Zahl einordnen kann man nur, wenn man eine Bezugsgröße dazu hat. Einfach nur willkürlich Zahlen zu sammeln oder – bildlich gesprochen – Kerben in die Wand des eigenen gedanklichen Kerkers zu ritzen, bringt keine Erkenntnisse. Todesfallzahlen können nur in Relation mit der Entwicklung der Bevölkerungszahl und der demografischen Entwicklung eine Aussage haben.

 

Es sei gleich vorweg gesagt: Im Jahr 2020 sind ziemlich exakt so viele Menschen verstorben, wie zu erwarten gewesen ist! Das hat mich selbst übrigens ziemlich überrascht. Denn der seit Monaten erzeugte Eindruck war ein anderer. Darüber hinaus war aufgrund des staatlich verordneten psychisch und physisch außerordentlich ungesunden Jahres durchaus mit massiven Kollateralschäden zu rechnen. Ich fürchte, dass diese sich in der Zukunft noch zeigen werden. Für 2020 ist es allerdings sogar so, dass, wenn wir von den Todesfallzahlen die an oder mit Covid Verstorbenen abziehen würden, sich eine Untersterblichkeit ergeben würde, die weder plausibel noch erklärbar wäre.

 

Das soll im Folgenden näher dargelegt werden.

Um dies tun zu können, werden für die Jahre 2016 bis 2019 die Bevölkerungsfortschreibungsdatenbanken des Bundesamtes für Statistik (Destatis) herangezogen. Für das Jahr 2020 sind mir noch keine abschließenden Bevölkerungszahlen nach Altersklassen bekannt. Das Bundesamt für Statistik hat aber verschiedene Hochrechnungsmodelle parat. Diese unterscheiden sich in ihren Prämissen. Die Unterschiede der jeweiligen Varianten sind aber nicht so groß, dass es zu vollkommen anderen Ergebnissen führen würde. Für die folgenden Betrachtungen wurde die moderate Variante 1 von Destatis gewählt, die dort so beschrieben ist: Moderate Entwicklung der Geburtenhäufigkeit und Lebenserwartung bei niedrigem Wanderungssaldo (G2-L2-W1).

 

Damit kann nichts falsch gemacht werden. Dennoch ist die Gesamtbevölkerungszahl dieser Variante um etwa 173 Tausend Menschen höher als ebenfalls von Destatis als Bevölkerung von Deutschland (ohne Altersangabe) errechnet wird. Diese rechnerische Differenz kann nicht aufgelöst werden, sie würde allerdings nur höchstens marginal etwas an den folgenden Darstellungen ändern.

 

Zunächst die nackten Todeszahlen:

Anmerkung vom 10.02.21: Mittlerweile hat Destatis 1512 Todesfälle für das Jahr 2020 nachgemeldet (insgesamt 984.001). Diese konnte ich in den Berechnungen aber nicht mehr berücksichtigen. Damit war zu rechnen, es ändert allerdings nichts an den Aussagen dieses Beitrags.

 

 

Es ist richtig: Wenn wir einen Durchschnitt der absoluten Todeszahlen der letzten Jahre ermitteln, dann sind im Jahr 2020 48.100 Menschen mehr verstorben als im Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019. Informationsgehalt? ...Überhaupt keiner!

 

Um diese Daten bewerten zu können, müssen sie ins Verhältnis zur Bevölkerungszahl und ins Verhältnis der Altersgruppen gestellt werden.

 

 

Die Bevölkerungzahl ändert sich natürlich. Aber es ändert sich darüber hinaus auch die Altersstruktur! Und die ist noch entscheidender. Zur Erinnerung: Die Letalität eines jeden Einzelnen beträgt 100%, wir wissen nur nicht, wann. Aber wir wissen, dass sie sich vor allem und glücklicherweise in einem – möglichst - hohen Alter einstellt. Wenn die durchschnittliche Lebenserwartung über die Jahre steigt, äußert sich dies natürlich auch in einer Veränderung der Bevölkerungszahl pro Altersgruppe.

 

 

Wir sehen hier, dass die Altersgruppen sich stark verändert haben. So hat in Deutschland die Altersgruppe 80 bis unter 85 Jahre mit fast 27% den größten Zuwachs im Vergleich zum Jahr 2016 erfahren.

 

Auf der Basis der Bevölkerung pro Altersgruppe und der Verstorbenen pro Altersgruppe kann man leicht die Altersgruppen-Sterberate errechnen und ebenfalls ermitteln, wie viele Menschen voraussichtlich versterben werden. Das ist keine Hellseherei! Es ist Statistik.

 

Da mir bewusst ist, dass Prozentzahlen oft nicht so greifbar sind, werden die Todeszahlen im folgenden pro 100 Tausend Menschen angegeben. Das ist zwar mehr oder weniger die gleiche Verhältnismäßigkeit wie bei Prozentzahlen, aber es scheint fassbarer zu sein. Es fällt übrigens auf, dass im Jahr 2016 in einigen jüngeren Altersgruppen in Relation die meisten Toten pro 100.000 auftraten.

 

 

Wenn man nun den Durchschnitt der Toten pro 100 Tausend pro Altersgruppe errechnet und diesem Durchschnitt das Jahr 2020 gegenüberstellt, dann zeigen sich folgende Sterberaten und deren Veränderung:

 

 

Aber nun wird es wirklich interessant! Wenn man nicht wüsste, wieviele Menschen im Jahr 2020 verstorben sind, man aber wüsste, wie die Bevölkerungszahl und die Bevölkerungsstruktur ist, und man von einem normalen Jahr ausgehen würde, dann könnte man anhand der Altersgruppen-Sterblichkeit der Vergangenheit ausrechnen, wieviele Menschen in 2020 voraussichtlich versterben würden.

 

Und das machen wir nun.

Die durchschnittliche Anzahl der Toten der Jahre 2016 bis 2019 wird übertragen auf die Bevölkerungsstruktur des Jahres 2020. Das ergibt die zu erwartende Todesfallanzahl für das Jahr 2020. Da wir die Sterbefallzahlen des Jahres 2020 aber ja kennen, werden die tatsächlichen Todesfallzahlen den erwarteten Todesfallzahlen des Jahres 2020 gegenübergestellt. Ich darf schon einmal verraten: Das Ergebnis ist überraschend langweilig!

 

 

Im Ergebnis sind in 2020 genau so viele – oder sogar ein bisschen weniger - Menschen tatsächlich verstorben, wie man alleine aufgrund der demografischen Entwicklung hätte voraussagen können. Und dies, ohne eine tödliche Pandemie miteinzukalkulieren.

 

Das Herausgreifen einzelner Zeiträume oder die Homogenität der Todesfallzahlen oder besonders hohe Todeszahlen im Dezember

In den Medien wurde erwähnt, dass die ″Zunahme der Todesfälle parallel zu den Wellen der Corona-Pandemie“ verläuft. So zum Beispiel im Ärzteblatt. Ja, wie sollte es denn sonst sein?! Höhere Todesfallzahlen verlaufen immer parallel zu Erkrankungswellen! Sei es die Grippe, bisherige Corona-Viren oder Covid-19. Es wäre sogar höchst unerklärlich, wenn hohe Todeszahlen geradezu außerhalb von Erkrankungswellen aufträten. Es stellt sich die Frage, welches Ziel eine solche Aussage verfolgt.

 

Hierzu eine Grafik, die den Verlauf der Todesfälle pro Woche in den letzten Jahren darstellt:

 

 

Es ist vollkommen normal, dass in der Winterzeit mehr Todesfälle auftreten als im Sommer. Wäre es anders, dann müssten wir uns ganz besonders große Sorgen machen! Und selbstvertändlich stellt Covid-19 keine Ausnahme davon dar. Dem aufmerksamen Betrachter fällt vielleicht auf, dass speziell der Winter 2018 ganz und gar nicht ohne war! Für 2020 ist es übrigens so, dass die Todesfälle im Dezember 2020 nicht alleine Covid-19 in Rechnung gestellt werden können!

 

In der folgenden Grafik werden die Gesamttodeszahlen pro Kalenderwoche dargestellt (dunkelblau), die Gesamttodeszahlen ohne Covid (hellblau), die Covid-Toten (rot) und zur leichteren Erkennbarkeit die Abweichung der Toten ohne Covid vom Minimum im Jahr (gelb). Es ist dort zu sehen, dass im Frühjahr mehr Menschen verstorben sind, als es allein durch Covid-19 erklärbar wäre. Und im Winter 2020 ist es ähnlich. Für den Peak im Sommer wird im allgemeinen eine Hitzewelle als Grund angegeben.

 

 

Im Grunde sind die Kurven nicht wirklich ungewöhnlich. Außer, dass die Kurve der Toten ohne Covid ebenfalls zum Jahresende ansteigt. Woran also sind mehr Menschen gegen Ende des Jahres verstorben ohne an Covid verstorben zu sein? Vor allem, wenn man bedenkt, dass so etwas wie die Grippe wohl in diesem Winter ausfällt.

 

Für Sachsen – weil Sachsen ja besonders erwähnt wurde – sieht es noch ein wenig anders aus. Dort sind die Todeszahlen zum Ende des Jahres tatsächlich stark angestiegen! Rätselhaft ist allerdings, dass sie nicht nur mit Covid angestiegen sind, sondern dass die Todeszahlen auch ganz ohne Covid-19 stark angestiegen sind.

 

 

Entweder ist dieses Bundesland Opfer einer besonderen Heimsuchung ...oder es ist Opfer des demografischen Wandels. Oder beides.

 

Und hier kommt ein möglicher Teil der Auflösung des Rätsels:

Sachsen hat bundesweit den höchsten Anteil aller Menschen über 80 Jahren, nämlich fast 9%. Das Bundesland mit dem geringsten Anteil an Menschen ab 80 Jahren hat mit 6% Hamburg.

 

 

Das erklärt nicht den starken Anstieg speziell im Dezember, aber es erklärt eine generell höhere Sterberate. Darüber hinaus verlaufen die Todesfallzahlen in keinem Jahr homogen. In jedem Jahr gibt es Zeiten, in denen mehr Menschen sterben, als es zum gleichen Zeitpunkt in anderen Jahren üblich ist.

 

Das soll an an einem Beispiel deutlich gemacht werden. In der folgenden Grafik sind die maximalen Todeszahlen innerhalb einer einzelnen Woche eines Jahres dargestellt.

 

 

In den meisten Bundesländern traten im Jahr 2018 mehr Tote innerhalb einer einzigen Woche auf als im Jahr 2020. In den meisten!

Diese Tabelle sagt trotz allem aber nichts über eine mögliche Übersterblichkeit über das ganze Jahr aus.

 

Fazit

In meinem Fazit komme zurück auf die Hauptaussage dieses Beitrages: Die Todesfallzahlen 2020 entsprechen ziemlich genau der zu erwartenden Zahl! Die Frage, wie dies angesichts einer neuen, gefährlichen Krankheit möglich ist, kann ich leider nicht beantworten.

 

 

 

 

Quellen:

Alle Grafiken sind selbst erstellt.

Bezugs- und Verhältnisrechnungen sind selbst erstellt.

 

Im einzelnen wurde auf folgende Datenbanken und Tabellen zurückgegriffen:

 

Bundesamt für Statistik (destatis):

 

Sterbefälle - Fallzahlen nach Tagen, Wochen, Monaten, Altersgruppen, Geschlecht und Bundesländern für Deutschland 2016 – 2021:

https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Sterbefaelle-Lebenserwartung/Tabellen/sonderauswertung-sterbefaelle.html

 

12411-0012 Bevölkerung: Bundesländer, Stichtag, Altersjahre (für die Jahre 2016 bis 2019)

https://www-genesis.destatis.de/genesis//online?operation=table&code=12411-0012&bypass=true&levelindex=1&levelid=1612292849531#abreadcrumb

 

12411-0005 Bevölkerung: Deutschland, Stichtag, Altersjahre (für die Jahre 2016 bis 2019)

https://www-genesis.destatis.de/genesis//online?operation=table&code=12411-0005&bypass=true&levelindex=1&levelid=1612292849531#abreadcrumb

 

12421-0002: Vorausberechneter Bevölkerungsstand: Deutschland, Stichtag,Varianten der Bevölkerungsvorausberechnung, Geschlecht, Altersjahre

(Hier im Konkreten das Szenario 01)

https://www-genesis.destatis.de/genesis//online?operation=table&code=12421-0002&bypass=true&levelindex=1&levelid=1612456310423#abreadcrumb

 

Robert-Koch-Institut (RKI):

Covid-Fallzahlen und Todesfälle

https://npgeo-corona-npgeo-de.hub.arcgis.com/datasets/dd4580c810204019a7b8eb3e0b329dd6_0/data